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Seite 26                           EMSTEKER NACHRICHTEN

Zwischen Irland und Istanbul

Buchbinderin Theresa Wedemeyer erzählt von ihrer Wanderschaft quer durch Europa

Emstek (bd). Dreieinhalb Jahre
war Theresa Wedemeyer auf
Wanderschaft. Dreieinhalb Jahre,
in denen die Buchbinderin ihrer
Heimat Emstek nicht näher als 50
Kilometer kommen durfte. Seit
einem Monat ist sie jetzt wieder
zu Hause und stellt sich unseren
Fragen.

EN: Nach Ihrer Ausbildung zur      Über 30 Handwerksgesellen aus ganz Deutschland haben Theresa Wedemeyer auf dem Heimweg be-
Buchbinderin haben Sie sich für    gleitet. Sie sind gemeinsam von Bremen aus zu Fuß in die Heimat Emstek gewandert.
die Wanderschaft entschieden.
Sie haben es nicht nur durchge-      Gezählt habe ich sie nicht, aber  ziemlich anstrengend, denn Ent-       EN: Was raten Sie angehenden
halten, sondern auch sinnvoll      20 Stationen sind es bestimmt       scheidungen brauchen Mut. Ein         Handwerkern und Handwerke-
genutzt. In den Emsteker Nach-     gewesen.                            bisschen gehetzt ist man auch         rinnen, wenn sie über eine Wan-
richten haben wir vom Wegge-                                           ab und zu, vor allem, wenn man        derschaft nachdenken? Ist das
hen berichtet und eine Reise-      EN: Konnten Sie sich handwerk-      kein Geld mehr hat und nicht so-      etwas für jedermann oder muss
geschichte veröffentlicht. Nun,    lich so entwickeln, wie Sie es      fort Arbeit findet.                   man bestimmte Eigenschaften
ein Monat nach der Rückkehr        erhofft haben?                                                            mitbringen?
in die Heimat – zum ersten Mal                                         EN: Welches war der schwerste
nach dreieinhalb Jahren – haben      In jedem Fall! Ich habe viele     Moment – gab es einen Gedan-            Ich kann es nur jedem emp-
Sie bereits klare Pläne für die    neue Techniken und Arbeitsphi-      ken ans Aufgeben?                     fehlen, aber man sollte sich un-
Zukunft. Aber zunächst wüssten     losophien kennengelernt. Sehr                                             bedingt intensiv mit dem Thema
wir gerne, wie Sie diese Zeit      wichtig sind aber auch die Kon-       Ans Aufgeben habe ich nie ge-       beschäftigen und auch einmal
ohne großen Komfort und mit        takte, die ich geknüpft habe und    dacht. Ich habe mich ja bewusst       bei einem Wandergesellentref-
ständigem Wechsel von Orten        auf die ich aufbauen kann.          für dieses Leben entschieden          fen dabei sein. Dort merkt man
und Menschen erlebt haben.                                             und nicht aus einer Laune he-         ziemlich schnell, ob es für einen
Was war das schönste Erlebnis      EN: Wer bestimmt, wann es           raus. Schlimme Momente gab            selbst etwas ist, oder nicht. Rei-
auf der Wanderschaft? Welche       weitergeht? Gibt es Aufträge,       es natürlich trotzdem, aber das       sen bildet, kann ich dazu nur
Länder und Städte haben Sie        die erfüllt werden und dann         kennt ja jeder. Es ist halt auch auf  noch sagen.
kennengelernt? Wo war es be-       muss man weiterziehen?              Wanderschaft nicht immer Son-
sonders schön? Gab es Stellen,                                         nenschein.                            EN: Ist Deutschland ein gast-
die so verlockend waren, dass        Der große „Bestimmer“ war                                               freundliches Land? Oder sind
Sie gerne geblieben wären?         immer ich. Trotzdem, wenn die       EN: Hat sich nach der langen          alle zu sehr mit sich selbst be-
                                   Arbeit erledigt ist, zieht man      Zeit der Blick auf Ihr zu Hause       schäftigt?
  Theresa Wedemeyer: Insge-        weiter. Man bleibt aber eh‘ nie     und das bisherige Leben sehr
samt war die ganze Reise das       länger als zwei bis drei Monate     verändert? Wie erleben Sie sich         Die Menschen sind auf jeden
prägendste Erlebnis, das ich bis-  an einem Ort.                       jetzt in Emstek?                      Fall besser, als der Ruf! Und
her gehabt habe. Dabei war ich                                                                               die meisten Leute wollen auch
in fast allen Ländern zwischen     EN: War es ein Gefühl von Frei-       Ich bin total dankbar, dass ich     gerne gastfreundlich sein, sie
Istanbul und Schottland. Irland    heit oder schon auch mit gewis-     bei meinen Eltern erst einmal         wissen häufig nur nicht, wie. Ich
war eines der Länder, in denen     sen Zwängen verbunden?              zur Ruhe kommen kann und              habe überall liebe und offene
ich gerne länger geblieben wäre,                                       freue mich immer noch über die        Menschen getroffen, im Norden
auch London hat es mir nicht         Auch auf Wanderschaft             vertrauten Orte. Aber mein Blick      wie im Süden.
leicht gemacht, weiterzureisen.    kommt man nie um gewisse            hat sich verändert – der Blick ei-
                                   Zwänge herum. Aber das Ge-          nes Wandergesellen auf die Um-        EN: Was ist die wichtigste Er-
EN: Sie haben mit Ihrem Beruf      fühl der Freiheit ist schon sehr    gebung ist schon ziemlich span-       fahrung, die Ihnen dieses Pro-
eine Nische besetzt. Gab es        berauschend; wenn einem seine       nend, weil man auf einmal mit         jekt gebracht hat oder jetzt im
überhaupt genügend Arbeitsan-      Zeit auch wirklich gehört und       anderen Augen seine Heimat            Nachhinein noch bringt?
gebote oder war es sehr müh-       man einfach überall hingehen        neu entdecken kann.
sam, auf diese Art und Weise       kann. Man muss sich nur immer                                               Es geht immer weiter und mor-
durchzukommen?                     wieder entscheiden und das ist                                            gen sieht alles schon anders aus!

  Um Arbeit musste ich mir auf
der Wanderschaft nie Gedanken
machen. Interessanterweise ha-
ben die meisten Buchbinder
gut zu tun. Auch jetzt, nach der
Wanderschaft, habe ich – mit
vielleicht ein bisschen Glück –
genau die Stelle in Bielefeld ge-
funden, die ich gesucht habe.

EN: Wie viele Arbeitsstationen
haben Sie durchlaufen?
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